
Kopfbild: Französische Kriegsgefangene. © Bundesarchiv, Bild 1011‑055‑1592‑05A / Weber, Robert / CC‑BY‑SA 3.0
Rettung französischer Kriegsgefangener
Pierre Schon und seine Freunde im Widerstand halfen zahlreichen aus Deutschland geflohenen französischen Kriegsgefangenen – zunächst, indem sie sie in sicheren Häusern oder Waldverstecken unterbrachten, ihnen neue Identitäten verschafften und sie dann von Luxemburg nach Belgien eskortierten. Von dort gelangten sie schließlich zurück nach Frankreich. Belgien, insbesondere die Ardennen, war weniger streng von den Nazis kontrolliert als Luxemburg und bot mehr Möglichkeiten, sich zu verstecken.
Nach der Kapitulation Frankreichs 1940 wurden über 1,8 Millionen französische Soldaten gefangen genommen und in Lager nach Deutschland gebracht. Viele von ihnen wurden Arbeitskommandos in kleineren Städten nahe der luxemburgischen Grenze zugewiesen. Diese Einheiten, die manchmal nur leicht bewacht waren, boten bessere Fluchtmöglichkeiten – insbesondere mit Hilfe der Bevölkerung und des Widerstands.
Das Stalag XII-D in Trier, nur 15–20 km von der luxemburgischen Ostgrenze entfernt, war ein wichtiges Internierungslager für Kriegsgefangene von der Westfront, besonders zu Beginn des Krieges. Seine Nähe zur Grenze erleichterte Fluchtversuche, wenn Gefangene in landwirtschaftlichen Betrieben, Fabriken oder an Bahnstrecken arbeiten mussten: Zu Fuß oder mit dem Zug schafften es einige, die Grenze zu überqueren. Es wird geschätzt, dass etwa 70.000 französische Kriegsgefangene aus deutscher Gefangenschaft fliehen konnten.
Von 1941 bis 1944 strömte ein konstanter Fluss geflohener Kriegsgefangener durch die LPL von Klierf und andere luxemburgische Widerstandsgruppen.
Als im April 1943 ein Gestapo-Haftbefehl gegen Pierre erging und er aus Luxemburg fliehen musste, operierte er von Belgien aus. Dort brachte er Gefangene in einem Netzwerk aus sicheren Häusern und Bauernhöfen unter, das hauptsächlich von Jean Boever in Marloie organisiert wurde. Dort wurden sie versorgt, erhielten neue Ausweispapiere und anschließend an die französische Widerstandsbewegung übergeben. Entweder fanden sie Arbeit unter neuer Identität oder schlossen sich den Maquis-Widerstandskämpfern an.
Doch als sein Freund und Mitpasseur Ernest Delosch verraten, im Juli 1943 verhaftet und im Februar 1944 hingerichtet wurde, sah sich Pierre gezwungen, mehrfach nach Luxemburg zurückzukehren, um französische Kriegsgefangene und luxemburgische Wehrpflichtige nach Belgien zu begleiten – jedes Mal ein noch größeres Risiko.
Begleitung alliierter Flieger in den Süden Frankreichs
Es heißt, dass Pierre Schon alliierte Flieger in den Süden Frankreichs begleitete, wo er sie an Mitglieder des örtlichen Widerstands übergab. Von dort aus organisierte der Widerstand ihren Weitertransport über die Grenze nach Spanien – entweder nach Gibraltar, das unter britischer Kontrolle stand, oder ins neutrale Portugal – zur späteren Rückführung nach England. Fließend in Französisch, mit guten Englischkenntnissen und erfahren im Reisen unter falscher Identität, führte Pierre diese Mission vermutlich in Zusammenarbeit mit dem in Belgien operierenden Service Zéro durch.
Bis 1941 hatte Service Zéro geheime Kurierlinien quer durch Belgien und Frankreich aufgebaut. Ursprünglich dazu genutzt, Nachrichten und Geheimdienstberichte nach London zu schmuggeln, wurden diese Routen Anfang 1943 angepasst, um alliierte Flieger und Geflüchtete zu transportieren. Augustin Roblain, ein Funker, der für Zéro in den Ardennen tätig war, brachte Jules Dominique mit dem Leiter des Zéro-Netzwerks in Verbindung. Seit 1942 standen die beiden in ständigem Kontakt. Führende Mitglieder der LPL in Brüssel standen ebenfalls mit der Bewegung in Verbindung, darunter Alphonse Rodesch und Ferdinand Fischbach.
Auf ihrer Reise stellte die französische Résistance den Fliegern Unterkünfte zur Verfügung – unter anderem in Paris und Lyon, zwei wichtigen Zwischenstationen auf dem Weg von Brüssel in den Süden.
Nach dem Krieg besuchte Pierre während der Familienurlaube in Frankreich jene Mitglieder des Widerstands, mit denen er zusammengearbeitet hatte und die nun in Draguignan lebten. Er wurde stets mit offenen Armen, herzlichen Umarmungen, einem guten Essen und lebhaften Gesprächen empfangen, in denen man gemeinsam an die Zeit im Widerstand erinnerte. Als Zeichen seiner Verbundenheit mit der Region erwarb er in den 1960er-Jahren bei einer öffentlichen Versteigerung sogar ein Grundstück in Draguignan.
An der Seite der französischen Résistance
Die F.F.I. (Forces Françaises de l’Intérieur) entstanden 1944 durch die Zusammenführung verschiedener französischer Widerstandsgruppen unter einem einheitlichen Kommando. In den Wochen vor und nach der Landung in der Normandie im Juni 1944 führten die vereinten Kräfte der F.F.I. großangelegte Sabotageaktionen im ganzen Land durch – darunter das Entgleisen oder Sprengen von Zügen. Diese Aktionen wurden mit den Alliierten im Rahmen der Operation “Plan Vert” koordiniert, deren Ziel es war, die deutsche Logistik zu stören und die Verlegung von Verstärkungen zur Normandie zu verhindern. Sie waren entscheidend für den Erfolg der Landung und wurden häufig in enger Abstimmung mit dem britischen SOE (Special Operations Executive) und dem amerikanischen OSS (Office of Strategic Services) – dem Vorläufer der heutigen CIA – durchgeführt.
Im Sommer 1944, während die alliierten Streitkräfte in Frankreich vorrückten, begleitete Pierre Schon Mitglieder der französischen Résistance bei der Sabotage zweier Züge in der Region Metz in Lothringen, um den deutschen Nachschub an die Front zu verzögern. Durch seine Bemühungen, französischen Kriegsgefangenen zu helfen, hatte er schon zuvor Kontakte zu den F.F.I. geknüpft. Nach dem Krieg erinnerte er sich mit seinen französischen Freunden an das ohrenbetäubende Krachen der entgleisten Züge – und daran, wie es den örtlichen SS-Kommandanten zur Weißglut brachte. Es steht außer Zweifel, dass diese Aktion perfekt mit den Alliierten und der Widerstandskommandostruktur koordiniert war.
Zusammenarbeit mit den F.F.I. zur Rückführung von Kriegsgefangenen
Nach dem Krieg engagierte sich Pierre Schon in verschiedenen Hilfsinitiativen für Flüchtlinge sowie in militärischen und zivilen Rückführungsaktionen. Er arbeitete mit den F.F.I. zusammen, um französischen Kriegsgefangenen, die aus ganz Europa zurückkehrten und über Luxemburg reisten, bei der Rückkehr nach Frankreich zu helfen.
Reise zu den Landungsstränden der Normandie
Am 3. Juli 1947 erhielt Pierre ein Schreiben des französischen Innenministers, in welchem man ihm im Namen der Regierung für seine Hilfe bei der Rettung geflohener französischer Kriegsgefangener dankte. Er wurde mit der Médaille de la Reconnaissance Française (Medaille der französischen Anerkennung) ausgezeichnet. Diese Auszeichnung ehrte mutige und selbstlose Taten während des Krieges – insbesondere die Unterstützung von Flüchtlingen und Widerstandstätigkeiten.
Kurz darauf fand in der Normandie, an den Landungsstränden, eine Gedenkfeier statt, bei der die Taten der Widerstandskämpfer gewürdigt und Auszeichnungen verliehen wurden. Gemeinsam mit anderen, ebenfalls geehrten Luxemburgern fuhr Pierre mit dem Bus dorthin. Er war ganz sicher stolz, dass seine Beiträge und Opfer so anerkannt wurden.
Als er am Strand stand, schweiften seine Gedanken wahrscheinlich zurück – zu jenen Jahren, als die alliierten Truppen unter schwerem Artillerie- und MG-Feuer landeten und zu seinem eigenen, bescheidenen Einsatz, einige hundert Kilometer entfernt in Belgien, wo er alles daran setzte, das Nazi-Kriegssystem zu sabotieren.