Verlorene Freunde

Mitglied der Widerstandsbewegung zu sein, egal wo in von den Nazis besetzten Europa, bedeutete ein enormes Risiko. Pierre Schon verlor während der viereinhalb Jahre der nationalsozialistischen Besatzung Luxemburgs mehrere gute Freunde und Kameraden.

Ende 1941, angesichts einer verstärkten Überwachung durch die Gestapo, ging Raymond Petit, der den Decknamen „Fernand Schmitt“ oder „AC13“ annahm, in den Untergrund. Einen Teil dieser Zeit verbrachte er versteckt im Elternhaus von Pierre Schon. Raymond war ein aktives Mitglied und Mitbegründer der LPL in Echternach. Trotz der Gefahren setzte er seine Widerstandsarbeit fort.

Am 21. April 1942 versuchte die Gestapo, ihn in Berdorf festzunehmen. Raymond eröffnete das Feuer und verletzte zwei deutsche Beamte. Um eine Gefangennahme zu vermeiden und so seine Kameraden sowie das Widerstandsnetzwerk zu schützen, benutzte er seine letzte Kugel gegen sich selbst und opferte sein Leben. Er war kaum 22 Jahre alt.

Die Patrioten Aloyse Kremer und sein Bruder Eugène, aktive Mitglieder der LPL, arbeiteten mit Pierre Schon zusammen, um viele Flüchtlinge nach Belgien zu bringen. Foto unten: Pierre Schon und Aloyse Kremer im April 1944, wie sie Flüchtlingen auf der belgischen Seite der Grenze helfen. Von links nach rechts: Robert Borman, Jany und Norbert Morn, Aloyse Kremer und Pierre Schon.

Foto © L.P.P.D

Vier Mitglieder der Familie Kremer aus dem kleinen Dorf Biwisch nahe Ulfingen waren integraler Bestandteil der Widerstandsbewegung.

Zwischen 1941 und 1943 halfen Pierre Schon und Aloyse Kremer bei der Überführung von Deserteuren, französischen Kriegsgefangenen und Fallschirmjägern über die stark bewachte luxemburgisch-belgische Grenze.

Ende 1943 musste Aloyse nach Belgien fliehen, um der Einberufung in die deutsche Wehrmacht zu entgehen. Er fand Zuflucht in einem Versteck und schloss sich dann dem belgischen Maquis an, dem Pierre Schon neun Monate zuvor nach seiner Flucht vor der Gestapo beigetreten war. Gemeinsam halfen sie weiterhin Flüchtlingen von der belgischen Seite.

Nur drei Monate nach der Aufnahme des obigen Fotos kehrte Aloyse im Juli 1944 nach Luxemburg zurück, um seinen Bruder Eugène abzuholen, der ihn auf der luxemburgischen Seite ersetzt hatte. Er führte 40 Ausweiskarten, Geld und Fotos für die nächste Gruppe von Flüchtigen mit sich. In Amperloup (Belgien) erregte Aloyse die Aufmerksamkeit zweier deutscher Grenzwächter, die ihn aufforderten, stehen zu bleiben. Im Bewusstsein der wichtigen Beweismittel, die er bei sich trug, ergriff er die Flucht. Die Wachen legten an, und er wurde angeschossen. Er lief weiter in ein Maisfeld, warf die Tasche mit den belastenden Unterlagen ab, ging noch so weit, wie er konnte, und brach schließlich zusammen.

Er wurde gefangen genommen und zum Gestapohauptquartier in der Villa Pauly in Luxemburg-Stadt gebracht. Glücklicherweise fanden die Deutschen die Tasche nicht, was für das Netzwerk eine enorme Erleichterung war. Trotz seiner Schussverletzungen widerstand er den Verhören und Misshandlungen der Gestapo und verriet nichts. Vielleicht hätte er mit einer Gefängnisstrafe davonkommen können, wenn das Schicksal sich nicht tragisch eingemischt hätte.

Sechs Wochen später beschlossen zwei luxemburgische Deserteure, denen er geholfen hatte und die in einem Widerstandslager im belgischen Wald untergebracht waren, zurück nach Luxemburg zu gehen. Sie glaubten, dass der Krieg bald vorbei sei, und suchten die Geborgenheit ihres Zuhauses. Sie wurden festgenommen und von der Gestapo verhört, die wissen wollte, wer ihnen ursprünglich zur Flucht nach Belgien verholfen hatte. In der Annahme, Aloyse sei nicht mehr am Leben, nannten sie seinen Namen. Die Widerstandskämpfer wurden darin geschult, nur die Namen bereits Verstorbener zu nennen. Die Gestapo ließ Aloyse per Krankenwagen herbringen, um eine Konfrontation zu erzwingen. Das Spiel war aus, und Aloyse Kremer musste sich einem neuen Prozess stellen.

Am 1. September 1944 wurde er zum Tode verurteilt. Nachdem seine Wunden verheilt waren, wurde er vor dem Vorrücken der Alliierten in die deutsche Festung Torgau in Sachsen verlegt und am 19. Januar 1945, nur wenige Tage nach seinem 22. Geburtstag, durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Weniger als eine Woche später wurden die deutschen Truppen ein letztes Mal aus Luxemburg zurückgedrängt, und das gesamte Land wurde befreit.

Aloyse hinterließ kurz vor seiner Hinrichtung einen Abschiedsbrief für Familie und Freunde. Die kurze Botschaft, mit Bleistift auf die Rückseite eines Passfotos geschrieben, wurde einige Jahre später von einem überlebenden Gefangenen nach Luxemburg zurückgebracht (Quelle: Eugène Kremer, Buch Unsägliches Schicksal).

„Liebe unvergessliche Mutter, meine geliebten Geschwister und Familie. Weint nicht, ich bin zu Hause. Man hat mir mein unschuldiges Leben gestohlen. Wenn ihr noch lebt, passt auf euch auf. Im Himmel werden wir uns wiedersehen. Grüße an alle meine Kameraden. Aloyse Kremer“

Die beiden Widerstandskämpfer, die ihn ungewollt verraten hatten, wurden inhaftiert und nach dem Krieg wieder freigelassen – eine moralische Last, die sie wahrscheinlich ihr Leben lang trugen.

Anne Kremer (die Mutter). Anne Kremer wurde im August 1944 von der Gestapo wegen ihrer Widerstandsaktivitäten verhaftet. Schwer geschwächt durch die Misshandlungen starb sie im Konzentrationslager Ravensbrück im März 1945, nur wenige Wochen vor der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee. Sie war 53 Jahre alt.

Léopold Kremer (der Bruder). Léopold Kremer trat 1939 in die luxemburgische Armee ein. Im Dezember 1940 wurde er nach Weimar geschickt, um eine Ausbildung als deutscher Polizist zu absolvieren. Nachdem er 1942 den Treueeid auf Hitler verweigert hatte, wurde Léon ins Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Er ertrug die Leiden des Lagers bis zu seiner Befreiung am 29. April 1945 und kehrte im Sommer 1945 nach Luxemburg zurück.

Lina Kremer (die Schwester). Lina Kremer war aktiv im familiären Widerstand engagiert. Nach ihrer Verhaftung wurde auch sie von der Gestapo gefoltert. Im August 1944 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter ins Lager Ravensbrück deportiert, im März 1945 ins Lager Bergen-Belsen verlegt. Dort infizierte sie sich mit Typhus und wurde nur knapp bei der Befreiung des Lagers im Mai durch die Briten gerettet. Mit Hilfe des Roten Kreuzes wurde sie, schwerkrank, nach Schweden gebracht, wo sie ihre Quarantäne und Genesung verbrachte, bevor sie schließlich nach Luxemburg zurückkehrte. Bekannt als sanfte, altruistische und großzügige Frau, trug Lina irreversible Gesundheitsschäden aus den Kriegserlebnissen davon. Sie starb im Alter von nur 39 Jahren.

Lina Kremer

Eugène Kremer (der Bruder). Eugène Kremer setzte seine Passeurtätigkeiten fort und ging im Juli 1944 in den Untergrund, um der Einberufung in die deutsche Wehrmacht zu entgehen, wo er vermutlich an die Ostfront gegen die Rote Armee geschickt worden wäre. Er überlebte und erlebte die Befreiung des Landes 1945.

Die Opfer der Familie Kremer werden durch ein 1985 in Biwisch eingeweihtes Denkmal geehrt.

Ernest Delosch, ein enger Freund von Pierre und ein wichtiger Schlüsselmann in seinem Netzwerk zur Fluchthilfe, wurde im Juli 1943 verhaftet, im Gefängnis Grond eingesperrt und in der Villa Pauly brutal von der Gestapo verhört. Am 4. Februar 1944 wurde er ins Gefängnis Klingelpütz in Köln gebracht, zusammen mit Michel Spaus – einem erfahrenen Passeur aus dem Nachbardorf Tratten und Vater von fünf Kindern – sowie Henri Ameil, der beschuldigt wurde, Sabotageakte gegen strategische Anlagen durchgeführt zu haben. Drei Tage später, am 7. Februar, wurden die drei zum Tode verurteilt. Am 8. Februar wurden sie guillotiniert, nachdem sie ihre letzte Brief an ihre Familien auf Deutsch schreiben durften. Ernest Delosch war 36 Jahre alt, Michel Spaus 43.


Ernest wurde offenbar von Jules verraten, einem Gestapoinformanten, der sich als Luxemburger ausgab, zwangsweise in die deutsche Wehrmacht eingezogen worden war und angeblich fliehen wollte. Wahrscheinlich handelte es sich um denselben Jules, der auch Marie-Louise Didier verraten hatte.

Kurz nach dem Krieg floh Jules nach Frankreich, um seine Familie zu besuchen. Bei seiner Rückkehr nach Luxemburg jedoch erwartete ihn ein Empfangskomitee.. Er wurde verhaftet und verhört. Da er keinen Ausweg sah, beging er im Gefängnis Selbstmord.

Michel Spaus und seine Kameraden hatten etwa 100 Zwangsrekrutierte und französische Kriegsgefangene bei der Flucht nach Belgien geholfen. Im Juli 1943 wurde auch er verhaftet und wiederholt von der Gestapo in der Villa Pauly brutal gefoltert. Später im selben Jahr, im November, wurden seine Frau und fünf kleine Kinder in ein Umsiedlungslager in Schlesien deportiert, wo sie zum Glück alle überlebten. Die Denunziation, die zur Verhaftung und Hinrichtung von Michel führte, wurde später einem Nazispitzel namens Léon D. zugeschrieben.

Nach Angaben von Néckel Kremer in seinem Buch “Erennerungen un Deemools” wurde Léon D. von der belgischen „Weißen Armee“ (einer Widerstandsgruppe) verhaftet und verhört. Offenbar verlief das „Gespräch“ für ihn schlecht, denn er wurde danach nie wieder öffentlich gesehen.

Foto unten: Das Gefängnis Klingelpütz in Köln, wo über 1.000 Personen – darunter 21 Luxemburger – unter dem NS-Regime hauptsächlich durch Enthauptung hingerichtet wurden. Es diente als Exekutionszentrum für Widerstandskämpfer aus dem besetzten Westeuropa.

Foto: Klingelpütz – Verband der Zwangsrekrutierten, Luxemburg

Im Dezember 1941 erließ Hitler das geheime Dekret „Nacht und Nebel“, eine geheime Anweisung zur Einschüchterung und Terrorisierung von Widerstandsmitgliedern und politischen Gegnern im besetzten Westeuropa – insbesondere in Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden.

Das Dekret wurde von Wilhelm Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, umgesetzt, der erklärte: „Eine wirksame und dauerhafte Abschreckung kann nur durch den Tod oder durch Maßnahmen erreicht werden, die die Familie und die Bevölkerung im Unklaren über das Schicksal des Täters lassen.“ Das Gefängnis Klingelpütz war einer der Orte, an denen dieses Dekret angewandt wurde. Die Leichen der hingerichteten Gefangenen wurden manchmal an anatomische Institute in Köln oder in anderen Städten geschickt, um eine Beerdigung oder Identifikation zu verhindern.

Trotzdem gaben die Widerstandsbewegungen nicht auf. Im Gegenteil, ihre Mitglieder wurden noch vorsichtiger, in dem Wissen, dass die Gestapo ihre Repressionskampagnen verschärfen und auch ihre Familien mit Verhaftung oder Deportation bedrohen würde.

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