Pierre Schon 1941 bis 1943

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Titelbild – Pierre (ganz rechts) begleitet Flüchtlinge an der belgischen Grenze nach einer Nacht in einer Scheune. © L.P.P.D.

Von 1941 bis 1944 versteckte und unterstützte Pierre Schon über hundert Menschen auf ihrer Flucht – abgeschossene alliierte Piloten, entflohene französische Kriegsgefangene, Juden, luxemburgische Deserteure und andere Mitglieder des Widerstands. Für viele hätte eine Entdeckung den sicheren Tod bedeutet.

Die Mitglieder der LPL, darunter auch Pierre, nutzten abgelegene Waldwege, um Flüchtlinge über die Grenze nach Belgien zu bringen. Einige Gruppen brachen vom großen Familienhof in Dünningen oder von anderen Verstecken auf, die er gemeinsam mit lokalen Widerstandskämpfern organisiert hatte. Andere wurden in Unterschlüpfen im Wald zwischen Dünningen und Weicherdingen untergebracht, die er mit eingerichtet hatte. Sobald der richtige Moment gekommen war, führte Pierre die Gruppen in der Nacht durch Wälder und Felder bis nach Belgien.

Der Aufbruch erfolgte meist gegen 22 Uhr, um die Grenzlinie um Mitternacht zu überqueren. Der Marsch – Hin- und Rückweg in völliger Dunkelheit – dauerte mehrere Stunden und umfasste rund elf Kilometer in einer RIchtung.

Wichtige Dörfer sind gelb markiert. Die belgisch-luxemburgische Grenze ist rosa dargestellt.

Die Verstecke bestanden meist aus unterirdischen Bunkern oder in Hänge geschlagenen Räumen – einfach gebaut, aber gut getarnt. Im Winter waren sie eisig kalt. Mutige Dorfbewohner legten Lebensmittel im Wald ab, die bei Dunkelheit geholt wurden. Manche der Verstecke waren sogar mit schweren Öfen ausgestattet, die mühsam durch den Wald getragen werden mussten, um heiße Getränke zuzubereiten und etwas Wärme zu spenden. Pierre Schon, der weiterhin auf dem Familienhof lebte, brachte regelmäßig selbst Nahrung zu den Verstecken.

Fotos © Visit Eislek

Pierre arbeitete mit anderen Passeuren der LPL zusammen, darunter Ernest Delosch und Aloyse Kremer. Gemeinsam organisierten sie eine Fluchtroute, die von Dünningen über Buret und Tawingen – zwei belgische Dörfer nahe der Grenze – bis nach Limerlé-Retingen oder Bourcy führte. Beide Orte verfügten über einen Bahnanschluss, was die Weiterreise und damit die Exfiltration erheblich erleichterte.

Zudem hatte er eine Kette von Verstecken nahe der Grenze etabliert. Er kooperierte insbesondere mit Marie-Louise Didier, einer belgischen Widerstandskämpferin, die auf Informationsbeschaffung und Verteilung von Untergrunddokumenten spezialisiert war und mehrere Personen in ihrem Haus in Buret versteckte.

Im Juli 1943 wurde sie verraten, von der Gestapo verhaftet und verhört. Während des Verhörs entglitt ihr der Name ihres Denunzianten, Jules. Vier Monate lang hielt man sie in Einzelhaft und misshandelte sie regelmäßig, doch sie weigerte sich standhaft zu gestehen, dass sie Flüchtlinge versteckt hatte. Im Oktober 1943 wurde sie ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert und später nach Neu-Brandenburg verlegt. Dort waren die Bedingungen so grausam, dass die meisten Deportierten bei den Zwangsarbeiten – zehn bis zwölf Stunden täglich bei miserablen Rationen – ums Leben kamen.

Als die Rote Armee näher rückte – etwa 15 Kilometer entfernt – zwangen die Nazis die Gefangenen zu einem Todesmarsch in ein anderes Lager. Erschöpft gelang ihr in der Nacht die Flucht. Kurz darauf wurde sie von britischen Truppen in Schwerin befreit und medizinisch versorgt. Schließlich kehrte sie im Sommer 1945 nach Belgien zurück.

1941 begannen die deutschen Behörden, Juden systematisch zu registrieren und antisemitische Maßnahmen weiter zu verschärfen. Im Oktober desselben Jahres wurden etwa 300 Juden in Cinqfontaines (Camp de Fünfbrunnen) bei Troisvierges interniert. Das ehemalige Kloster diente als Durchgangslager, bevor die Deportationen in die großen Vernichtungslager 1942 stattfanden.

Pierre half einigen Internierten, mit gefälschten Papieren zu fliehen, plante, sie zunächst zu verstecken und dann sicher nach Belgien zu begleiten. Darüber hinaus lenkte er Lebensmittelmarken um und schmuggelte Nahrung in das Lager, wo die Rationen knapp waren und die Überwachung zeitweise nur schwach ausgeprägt war.


Mehrere luxemburgische Juden versteckten sich oder flohen in die Nachbarländer um eine Verhaftung zu entgehen und suchten Hilfe bei Widerstandsnetzwerken.

Im Februar 1943 führte Pierre Schon wahrscheinlich eine der kühnsten Aktionen seiner Zeit im Widerstand durch.

Als Humanist und – wie viele andere auch – zunehmend besorgt über die sich verschlechternde Lage der Juden und politischen Gefangenen, machte er sich im Februar 1943 mit einem Lastwagen auf den Weg zur Burg Boberstein, beladen mit mehr als 1.000 kg Proviant. Er reiste mit einer gefälschten Identität und einer gefälschten Genehmigung, die er zum Auftanken unterwegs benötigte. Die Burg Boberstein war ein Nazi-Internierungs- und Arbeitslager für umgesiedelte Luxemburger im Hirschberger Tal, das heute zu Polen gehört, und beherbergte mehrere hundert Menschen. Anfang 1943 litten die Internierten zunehmend unter Hunger, da sie unter sehr harten Bedingungen mit immer knapperen Rationen überleben mussten.

Oben links: Luftaufnahme des Schlosses Boberstein mit Nebengebäuden. Rechts: Alltag im Lager Boberstein in Schlesien, Zentrum für Dokumentation und Forschung zum Widerstand.

Zu einer Zeit, in der Lebensmittel streng überwacht wurden, organisierte Pierre Schon die Sammlung von mehr als 1.000 Kilogramm Proviant von seiner Familie und benachbarten Bauernhöfen in der Éislek-Region. Mit einem klaren Ziel vor Augen und Nerven aus Stahl transportierte er die Vorräte quer durch das von den Nazis kontrollierte Deutschland zur Burg Boberstein – eine Strecke von etwa 1.000 Kilometern pro Richtung. Die einfache Fahrt dauerte fast 30 Stunden und führte an zahlreichen Kontrollpunkten vorbei, was diese Aktion zu einer kühnen und beinahe unvorstellbaren Leistung machte.

Zwei Personen, die von Pierre Schon in archivierten Dokumenten als Zeugen genannt wurden, waren Auguste Collart, ehemaliger Bürgermeister von Bettemburg und Abgeordneter, sowie Jean Peusch, ein bekannter Lokalpolitiker, der von 1946 bis 1964 als DP-Bürgermeister von Klierf amtierte und ebenfalls Abgeordneter war. Beide Männer, Bekannte von Pierre Schon, waren als politische Gefangene zusammen mit ihren Familien umgesiedelt worden und befanden sich zum Zeitpunkt von Pierre Schons Ankunft im Lager Boberstein in Internierung. Auguste Collart war Mitglied des Widerstands, doch die Deutschen konnten ihm dies nie nachweisen. Als Royalist und Patriot, der sich in aristokratischen Kreisen bewegte, spendete er große Geldbeträge, um Widerstandsaktivitäten zu unterstützen und Deportierten zu helfen.

Eine so kühne Initiative wäre ohne die stille Unterstützung der landwirtschaftlichen Gemeinschaft von Klierf nicht möglich gewesen – viele ihrer Mitglieder waren selbst im Widerstand aktiv.

Nach dem Krieg ehrte die polnische Regierung Pierre mit einer Medaille in Anerkennung seiner humanitären Hilfe während der Kriegsjahre.

Die LPL half Hunderten von Menschen bei der Flucht. Die Geretteten mussten überleben und sich ernähren, wofür die Bewegung Lebensmittelmarken kopierte und alle Arten von Dokumenten fälschte. In einer landwirtschaftlich geprägten Gemeinschaft war es zudem möglich, heimlich Vorräte abzuzweigen, um diejenigen zu versorgen, die sich versteckten.

Pierre Schon beherrschte das Fälschen von Personalausweisen meisterhaft und verfügte über Vorlagen sowie originale Stempel verschiedener Gemeinden in Frankreich und Belgien, die er je nach Bedarf einsetzte. Mitglieder, die unter falscher Identität oder mit gefälschten Papieren reisten, konnten so unentdeckt bleiben. Zudem arbeitete Pierre eng mit seinen Kontakten in Belgien zusammen, um zahlreiche neue Identitäten für diejenigen zu erstellen, die er über die Grenze eskortierte.

Im Oktober 1941 gelang der LPL sogar ein Waffendiebstahl in der von Deutschen besetzten Polizeistation von Diekirch.

Im selben Jahr organisierte das nationalsozialistische Deutschland eine erzwungene Annexion mittels eines sogenannten „Personenstandsaufnahme“-Referendums. Trotz des Drucks von Besatzern und Verwaltung startete der luxemburgische Widerstand entschlossene Boykottkampagnen. Pierre und andere Verweigerer verteilten in Luxemburg Flugblätter gegen das Referendum, die in Brüssel bei der Druckerei Loquet hergestellt und von Alphonse Rodesch weitergeleitet worden waren. Das Ergebnis war eindeutig: Die Abstimmung scheiterte und offenbarte die massive Ablehnung des Naziregimes durch die luxemburgische Bevölkerung. Aus Protest sprachen manche weiterhin Luxemburgisch, obwohl es verboten war, andere zerstörten ihre deutschen Ausweise als Akt passiven Widerstands.

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